Willkommen Zuhause 57/2018

Tite lthema 5 Vorsicht vor der „Wilden Jagd“ Stellen Sie sich einmal einen harten Winter im Mittelalter vor: Dicht gedrängt sitzen unsere Vorfahren in ihren Holzhütten ums Feuer. Draußen ist es stockfinster, der Wind tobt, knie- tiefer Schnee macht Fortbewegung im Freien fast unmöglich. Und während das Feuer knistert und prasselt, erzählt man sich Geschichten, um sich die Zeit zu vertreiben. Damals wie heute dürf- ten vor allem die düsteren Erzählungen fasziniert haben. Insbesondere dann, wenn sie eine mystische Erklärung für Dinge liefern, die wir alle kennen. In einer solchen Atmosphäre könnten die Mythen um die Rauhnächte entstanden sein. Woher das Wort stammt, darüber sind sich die Forscher nicht einig: Es könnte sich vom mittelhochdeutschen „rûch“ ableiten, das übersetzt so viel wie „haa- rig“ oder „wild“ bedeutet. Nach dieser Deutung erhalten die Rauhnächte ihren Namen also von den Unwesen, die zu dieser Zeit durch die Welt ziehen. Eine andere Erklärung leitet den Namen aus dem Brauch ab, um den Jahreswechsel Wohnräume und Ställe zu beräuchern – zur Desinfektion oder auch, um Geister auszutreiben – die Rauhnächte wären nach dieser Erklärung also eigentlich „Rauchnächte“. Der Begriff „Nächte“ schließt dabei übrigens auch die helle Tageszeit mit ein. Willkommen in der „Niemandszeit“ Wie viele traditionelle Bräuche sind die Rauhnächte heidnischen Ursprungs. So erklärt sich die besondere Bedeutung, die den Tagen um den Jahreswechsel zugemessen wurde, vermutlich damit, dass der Mondkalender unserer germa- nischen Vorfahren nur 354 Tage kannte – es fehlten elf Tage und zwölf Nächte gegenüber dem Sonnenkalender. Diese Tage waren nicht Teil des „offiziellen“ Kalenders. Es waren „tote Tage“, de- nen man zutraute, dass in ihnen die üblichen Gesetze außer Kraft gesetzt seien und sich die Tore zur Unter- und Oberwelt öffneten. Das führt, so die Überlieferung, dazu, dass sich in dieser Zeit allerhand finstere Gestalten auf der Erde aus- toben. Angeführt von Odin (Wotan) und der Muttergöttin Frau Holle (auch Percht genannt), veranstalten sie die sogenannte „Wilde Jagd“. Sterbliche sollten sich in dieser Zeit daher be- sonders in Acht nehmen. So darf in den Rauhnächten beispielsweise keine Wäsche – insbesondere keine weiße – aufgehängt werden. Dies birgt nämlich die Gefahr, dass böse Geister in sie hi- neinschlüpfen und von dort aus den Träger befallen. Außerdem könnte insbesondere weiße Bettwäsche als Leichentücher für jene verwendet werden, die leichtsinnig genug waren, sie zum Trocknen aufzuhängen. Auch sonst sollte man in der Niemands- zeit unauffällig, ordentlich und besonders achtsam sein: Fehlende Knöpfe an der Kleidung etwa würden die Geister und Götter aufmerksam und zornig machen. Und da sich böse Geister im Chaos am wohlsten fühlen, sei auf strengste Ordnung zu achten. Auch Schulden und ausgelie- hene Gegenstände sollten zur Zeit der „Wilden Jagd“ beglichen beziehungsweise zurückgegeben worden sein. Die Rauhnächte als Orakeltage Die Rauhnächte wurden jedoch nicht nur als schauerliche Gefahr, sondern auch als Chance begriffen. Dadurch, dass die Schleusen zu anderen Dimensionen geöffnet sind, eignen sich die „toten Tage“ besonders gut zum Orakeln. So sollen etwa die Träume, die man in den Rauhnächten hat, prophetischen Charakter haben. In den meisten Regionen gibt es zwölf Rauhnächte – vom 25. Dezember bis zum 5. Januar. Jeder dieser Tage, so der Mythos, bestimme das Wesen eines Monats des kommenden Jahres. Eine ganz besondere Bedeutung wird dem Sonnenschein an diesen sogenannten „Lostagen“ zugeschrieben. So bedeutet beispielsweise Sonnenschein am ersten „Lostag“ (dem 26. Dezember) ein glückliches neues Jahr. Scheint jedoch am 27. Dezember die Sonne, stehen im kommenden Jahr Preiserhöhungen an. Sonnenschein am 4. Januar deu- tet auf kommende Unwetter und am 6. Januar auf Zwist und Hader unter den Menschen hin. Vermischung von heidnischen und christlichen Bräuchen Die Rauhnächte haben einen heid- nischen Ursprung, doch sie blieben auch nach der Verbreitung des Christentums wichtiger Bestandteil des Brauchtums. Alte Bräuche und der neue Glaube vermischten sich über die Jahrhunderte. So ist es wohl kein Zufall, dass die Rauh- nächte an den meisten Orten mit der Weihnachtszeit übereinstimmen; das Glockenläuten an Heiligabend wurde zusätzlich zu seiner christlichen Bedeu- tung als „Schreckensgeläut“ gedeutet, mit dem die bösen Geister ferngehalten werden könnten. Im Umherziehen der Sternsinger mit Weihrauch am 6. Januar mischt sich die christliche Erinnerung an die heiligen drei Könige mit der vorchristlichen Tradition des Geisteraus- treibens zum Ende der Rauhnächte. Ein weiterer Brauch, den wir immer noch antreffen, ist beispielsweise der, in der Weihnachtszeit keine Wäsche aufzuhängen; und dass wir aus dem Blei- gießen zu Silvester Vorhersagen für das kommende Jahr ableiten, geht ebenfalls auf die uralten, mit der Rauhnacht ver- knüpften Vorstellungen zurück. Nicht zuletzt hat auch das „Krachmachen“ zum Ausklang des alten Jahres seinen Ursprung in den Rauhnächten: Denn mit dem Lärm sollten ursprünglich Geister vertrieben werden. Einige der Rauhnacht-Bräuche sind schlichtweg so vernünftig, dass wir sie heute selbstverständlich befolgen: So ist die Jahreswende eben ein guter Zeit- punkt für eine Inventur und um offene Rechnungen zu begleichen. Und die Jahreswende zur Besinnung zu nutzen, mit Vergangenem abzuschließen und neue Pläne zu schmieden, ist ebenfalls einfach nur sinnvoll. Die Weihnachtszeit steht vor der Tür – mit ihr auch die Rauhnächte. So wer- den die Tage um die Jahreswende traditionell genannt. Der Überlieferung zufolge wohnt dieser Zeit eine ganz besondere Bedeutung inne. Das Himmelstor, sagt man, öffne sich und angeführt von Odin und Frau Holle zögen Scharen verlorener Seelen durch die Welt und straften jene, die sich nicht an strenge Regeln halten. Erfahren Sie, was es mit diesem Brauchtum auf sich hat und welche Spuren davon Sie auch heute noch beobachten können.

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